Jesu corona Virginum

7. April 2023
  • Jesu corona Virginum
  • sangen unsere Mütter
  • bei der sonntäglichen Vesper,
  • erwartete Erholungszeit zwischen Mittag-
  • und Abendessen, nach so viel Auf-den-Füssen-Stehen,
  • wobei sie an die älteren, in Kalifornien
  • wer weiss wo verlorenen Söhne dachten
  • (die jüngeren, Geduld, sind noch da,
  • mit dem Chorhemd um den Altar),
  • Söhne, von denen sie, durch eine an Weihnachten eilig
  • geschriebene Ansichtskarte, wussten, dass sie
  • noch lebten; sie erinnern sich, wie sie ihnen
  • die Händchen führten, Aufwärts- und Abwärtsstrich,
  • immer das gleiche Stolpern, und jetzt «ich bin
  • euch zu sagen, dass es mir gut geht», Ärmster.
  • Es erhob sich danach der Weihrauchnebel und liess
  • in seinem Wohlgeruch unsere Mütter träumen,
  • vielleicht von der weissen Rose des Doré-Drucks
  • für die Jungfrauen in ihrem glorreichen Flug;
  • von einem Plätzchen für sie, weiter unten, und dann
  • nur schauen, in Ewigkeit dasitzend.

Jesu corona Virginum

  • Jesu corona Virginum
  • cantavano le nostre madri
  • al vespero domenicale, sosta attesa,
  • fra il desinare e la cena
  • e dopo tanto stare in piedi,
  • per ripensare i figli maggiori
  • perduti in California, chissà dove
  • (gli altri, pazienza, ancora lì
  • con la cotta intorno all’altare),
  • saputi vivi con la cartolina
  • scritta in fretta a Natale, a ricordare
  • le manine guidate sul quaderno,
  • asta e filetto, gli stessi inciampi, e ora
  • «sono per dirvi che sto bene», poveretto.
  • S’alzava poi la nebbia dell’incenso, e in quel profumo
  • le nostre madri sognavano, chissà, la stampa
  • della candida rosa del Doré
  • alle vergini il volo favoloso; per loro
  • un posticino sotto, e poi guardare
  • sedute per l’eternità.

Plinio Martini

Plinio Martini (1923-1979) gehört zu den Klassikern der Tessiner Literatur. Zeitlebens als Lehrer tätig, begann Martini sein literarisches Schaffen als Lyriker, berühmt werden liessen ihn aber seine Romane. Eine Auswahl seiner Gedichte erscheint 2023 im Caracol Verlag in einer zweisprachigen Version.

Christoph Ferber

geb. 1954 in Singen, wohnhaft auf Sizilien, ist vor allem als Übersetzer von Lyrik bekannt geworden. Aus dem Italienischen hat er unter anderem übersetzt: Gaspara Stampa, Ugo Foscolo, Vincenzo Cardarelli, Francesco Chiesa, Giorgio Orelli, Fabio Pusterla, Donata Berra, Pietro De Marchi.

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